Interview mit Dirk Kretzschmar

Dirk Kretzschmar Dirk Kretzschmar Dirk Kretzschmar Dirk Kretzschmar

     

Herr Kretzschmar, das Thema 5G ist derzeit in aller Munde.

Dirk Kretzschmar: Ja genau. Im Mai ist die Versteigerung der dafür notwendigen Frequenzen in Deutschland zum Abschluss gekommen. 4 Netzbetreiber haben den Zuschlag erhalten. Auch international ist 5G ein großes Thema. Wir beobachten die Entwicklung genau und positionieren uns seit geraumer Zeit.
   

Was ist denn neu bei 5G?

Dirk Kretzschmar: Den meisten ist sicher bekannt, dass 5G viel höhere Datenraten ermöglicht. Dabei ist der LTE-Nachfolger in puncto Datenraten eher eine Evolution, wenn auch eine sehr deutliche. Anwendungen im Bereich Videostreaming und virtuelle Realität werden verbessert bzw. erst möglich.

Aber es gibt entscheidende Merkmale, die Vorgängertechnologien nicht geboten haben. So erlaubt der neue Standard zum Beispiel Dienste zur Vernetzung von Millionen von smarten Geräten und Sensoren im industriellen Bereich. In Fachkreisen spricht man von Massive Machine Type Communication (mMTC). Heute wird in Produktionsanlagen noch viel mit fester Verkabelung und WLAN gearbeitet, da nur eine beschränkte Anzahl von mobilen Geräten an einem Ort gleichzeitig Verbindungen aufbauen kann. 5G mMTC richtet sich vor allem an Sendeeinheiten mit jahrelanger Lebensdauer und damit geringstem Stromverbrauch für die Kommunikation.

Auch werden Dienste möglich, für die beste Verbindungsqualität, gepaart mit Stabilität und Verfügbarkeit (QoS), unabdingbar ist und, die mit geringsten Latenzzeiten im Echtzeitbetrieb arbeiten müssen, kurz URLLC. Die 5G-Infrastruktur bietet die Möglichkeit, viele solcher Anwendungen in virtuellen, separierten Diensten abzubilden. Das nennt man Network Slicing. Die richtige Zuordnung dieser drei Dienstarten eMB, mMTC und URLLC auf das jeweilige Geschäftsmodell hat enorme Auswirkungen auf die richtige Planung und Dimensionierung der Dienste und der Funkzellen. Die Vielfalt der Anwendungen wächst damit enorm. Das öffnet Tür und Tor für neue, digitale Geschäftsmodelle, u. a. in den Bereichen Industrie, Medien und Smart City. 5G wird damit gewissermaßen zum Impulsgeber auf dem Weg in die 4. Industrielle Revolution.
   

Beginnt jetzt der flächendeckende Rollout?

Dirk Kretzschmar: So weit ist es noch nicht. Das liegt auch an den Akteuren. In der Vergangenheit waren TK-Hersteller und Netzbetreiber die Initiatoren für den Netzrollout. Hervorzuheben ist aber, dass in Deutschland erstmals Frequenzen für private Infrastrukturen reserviert wurden. 

Das eröffnet ganz neue Geschäftsmodelle für viele Branchen, auch für uns. Mit den neuen Möglichkeiten, die 5G bietet, gerät die Technologie z. B. auch bei Industrieunternehmen und Betreibern Kritischer Infrastrukturen in den Fokus. Diese können in Zukunft eigene Lizenzen im Bereich 3,7-3,8 GHz und 26 GHz erwerben und zum Netzbetreiber sogenannter Campusnetze avancieren. Damit hat 5G auch eine sehr starke regionale Komponente.
   

Was bedeutet das genau?

Dirk Kretzschmar: Auf Seiten der Netzbetreiber werden die vorhandenen LTE-Netze auf absehbare Zeit noch als Basis fungieren, weil über diese die Signalisierung erfolgt. 5G wird punktuell zunächst als Booster zum Einsatz kommen. Bis Ende 2022 sind in Deutschland wohl keine zusammenhängenden 5G-Gebiete zu erwarten, zumal kein Zwang besteht, 5G-Technik einzusetzen. Die Lizenzauflagen lassen sich z.T. auch mit LTE erfüllen. 5G-Netzausbau wird viele Lücken aufweisen und zunächst vorrangig Multimediadienste (eMBB) auf Basis eines 4G Core Netzes (NSA-Mode) unterstützen. URLLC und Network Slicing sind erst mit Einführung 5G Core (SA-Mode) und nur in Gebieten mit flächiger 5G-Versorgung möglich.

Anders im Fall der Industrie. Hier wird recht bald damit begonnen, reinrassige 5G-Netze zu errichten. Geringe Latenzzeiten und Network Slicing sind hier von Beginn an möglich. Dennoch wird der neue Standard erst in einigen Jahren seine volle Leistungsfähigkeit entwickeln. Release folgt auf Release. Erst ab 2022 werden dann IoT-Features verfügbar sein.
   

Werden Sie sich um so eine 5G Lizenz bewerben?

Dirk Kretzschmar: Das würde ich nicht ausschließen. Wir prüfen ja 5G Infrastrukturen und Anwendungen. Das wird mit Sicherheit auch für ganz neue Geschäftsmodelle interessant werden.
    

Wie kommt TÜViT ins Spiel?

Dirk Kretzschmar: Vernetztes Fertigen heißt das Stichwort in der Industrie – und das in Zukunft sicher auf Basis von 5G. Maschinen kommunizieren mit Maschinen, die Prozesssteuerung erfolgt auf Basis von Daten, die aus Hunderten, vielleicht Tausenden von Sensoren gewonnen werden. Das sorgt für ein Höchstmaß an Effizienz. Andererseits vergrößert sich die Angriffsfläche für Cyberattacken enorm. Kommt deshalb die Produktion zum Erliegen, entsteht schnell ein Schaden im 7-stelligen Bereich. Ein ähnliches Szenario gilt für Betreiber Kritischer Infrastrukturen. Ist die Versorgungssicherheit der Bevölkerung gefährdet, ist das schnell existenzbedrohend. Und hier kommt TÜViT ins Spiel. Wir schützen ITK-Infrastrukturen wirksam vor schädlichen Zugriffen aus dem Netz. Das Wissen über Netze und deren Sicherheit kombinieren wir dabei mit branchenspezifischem Know How aus dem TÜV NORD Konzern. Aber auch die Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit der Funkversorgung sowie das Management des 5G-Spektrums sind wichtige Sicherheitsfaktoren, gerade bei 5G-Campus-Netzen. Frequenzmissbrauch und temporäre Störsender sind herausfordernde Angriffsvektoren, wenn die komplette Produktionsinfrastruktur zunehmend von der 5G-Technik abhängig gemacht wird.
   


   

Welchen Mehrwert bieten Sie?

Dirk Kretzschmar: TÜViT prüft seit jeher Hardware- und Softwarekomponenten, Storage-Lösungen und Anwendersoftware auf IT-Sicherheit. Auch Anwender solcher Systeme lassen wir dabei nicht außer Acht. Zudem haben wir Kompetenzen im Bereich Netze entwickelt, die zukünftig alles miteinander verbinden, z. B. über 5G. Damit sind wir in der Lage, von Anfang bis Ende für lückenlose Sicherheit in ITK-Systemen zu sorgen und zwar als unabhängige Instanz.

Und da, wo wir nicht gerade prüfen oder zertifizieren, stehen wir Kunden auch beratend, planend, steuernd und unterstützend in der Betriebsführung zur Seite.
   

Welche Chancen sehen Sie für 5G?

Dirk Kretzschmar: Wir haben mit 5G ein wirkungsvolles Werkzeug, das es gilt, gewinnbringend und nachhaltig zur Verbesserung unserer Umwelt und Lebensqualität einzusetzen. Damit das gelingt, müssen wir es sicher machen. Sinnvoll ist, die ITK-Sicherheit gleich von Anfang an in die Planung mit einzubeziehen.