Bislang gab es für Planung, Bau und Betrieb von Rechenzentren eine Vielzahl von Leitfäden. Selbst in kombinierter Form war mit ihnen eine ganzheitliche Betrachtung kaum möglich. Die europäische Norm DIN EN 50600 sorgt seit 2016 umfassend und länderübergreifend für mehr Klarheit und gibt Impulse – sowohl für Betreiber von Rechenzentren und Cloud-Infrastrukturen sowie für deren Kunden.
Dennoch bleibt die Frage offen, ob eine Zertifizierung von Rechenzentren nach der DIN EN 50600 durchgeführt werden kann. Die Antwort finden sie hier.
Was ist die DIN EN 50600?
Die DIN EN 50600 stellt die erste europaweit länderübergreifende Norm dar, die mit einem ganzheitlichen Ansatz umfassende Vorgaben für die Planung, den Neubau und den Betrieb eines Rechenzentrums macht. Sie definiert Anforderungen für die Planung der Gewerke Baukonstruktion, Elektroversorgung, Klimatisierung, Verkabelung, Sicherheitssysteme und legt Kriterien für den Betrieb von Rechenzentren fest. Die von der europäischen Normungsgesellschaft CENELEC (Europäisches Komitee für elektrotechnische Normung) geschaffene DIN EN 50600 bietet dabei diverse Freiheitsgrade und versteht sich bis zu einem gewissen Punkt als Baukastensystem. In erster Linie stellt die DIN EN 50600 eine Norm dar, die bei Neubauten von Rechenzentren zur Anwendung kommt. Sie definiert dabei Notwendigkeiten von Gutachten und Analysen im Vorfeld der Planungs- und Bauarbeiten.
Während die im Rechenzentrumsumfeld ebenso relevanten ISO-Management-Normen, z. B. ISO/IEC 27001, ihren Schwerpunkt auf der organisatorischen und prozessualen Ebene haben, fokussieren die Anforderungen der DIN EN 50600 auf die physische Sicherheit. Die europaweit gültige Norm ist unter einer Vielzahl von Leitfäden und Best-Practices insoweit etwas Besonderes, als dass die Resultate in einem europaweiten Normierungs- und Abstimmungsprozess entstanden sind.
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Können Rechenzentren nach der DIN EN 50600 zertifiziert werden?
Die DIN EN 50600 ist nicht als Prüfvorgabe konzipiert, sondern versteht sich als Leitfaden. Für die Zertifizierung auf Grundlage der EN 50600 besteht die Herausforderung in der Interpretation dieses Leitfadens, was seriös erst durch einen darauf abgestimmten Prüfkatalog möglich ist.
Ein etablierter Standard im Rechenzentrumsumfeld ist zum Beispiel der TSI.STANDARD (Trusted Site Infrastructure), ein seit 2001 von TÜViT entwickelter Kriterienkatalog, in dem bereits seit März 2016 die Vorgaben der DIN EN 50600 zusätzlich berücksichtigt wurden. Da der TSI.STANDARD insbesondere für Hochverfügbarkeit und klare Vergleichbarkeit von Rechenzentren steht, macht er in bestimmten Bereichen detailliertere und ergänzende Vorgaben. Daher wurde in 2017 zusätzlich ein dedizierter Prüfkatalog für die DIN EN 50600 entwickelt, um den stärker risikobasierten Ansatz der DIN EN 50600 zu bedienen: der TSI.EN50600 Prüfkatalog.
Mit der DIN EN 50600 Zertifizierung von Rechenzentren auf Basis des neuen TÜViT-Prüfkatalogs TSI.EN50600 antwortet TÜViT auf die wachsende Nachfrage nach EN 50600-Zertifikaten, vor allem aus dem europäischen Ausland. TSI.EN50600 übernimmt die bewährte Systematik aus dem TSI.STANDARD und bildet inhaltlich alle Forderungen der DIN EN 50600, Teile 1-3, in Prüfkriterien ab. TSI.EN50600 macht die als Leitfaden konzipierte Norm damit prüf- und zertifizierbar. Die Zertifikate dokumentieren, dass das Rechenzentrum
- konform zur EN 50600 ist,
- eine von vier Verfügbarkeitsklassen realisiert hat,
- mindestens die Schutzklassen 1-3 umgesetzt hat und
- die Energieeffizienzbefähigung nach einer von drei Granularitätsstufen aufweist.
TSI.EN50600 wurde mit der Version V2.0 Anfang 2020 überarbeitet und berücksichtigt die in 2019 veröffentlichten Normenrevisionen.
TSI.EN50600 V2.0 ist ab April 2020 gültig. Die Version V1.0 kann für einen Zeitraum von drei Jahren ab Veröffentlichung der V2.0 auch weiterhin als Zertifizierungsgrundlage herangezogen werden.
Zertifizierung von Rechenzentren
Was deckt die DIN EN 50600 im Einzelnen ab? Struktur und Aufbau der DIN EN 50600
Die Norm ist in vier Teilbereiche gegliedert:
- Teil 1: Allgemeines Konzept
- Teil 2: Physische Aspekte von baulichen Fragen des Gebäudes bis hin zu Energie-, Verkabelungs- und Sicherheitsaspekten
- Teil 3: Management
- Teil 4: Effizienzaspekte wie KPIs, Energieverbrauch und erneuerbare Energien
Veröffentlicht wurde die DIN EN 50600 schrittweise seit 2012 in zehn Teilen und Unterteilen:
- EN 50600-1: Allgemeine Aspekte für die Konstruktion und Spezifikation
- EN 50600-2-1: Gebäudekonstruktion
- EN 50600-2-2: Stromversorgung
- EN 50600-2-3: Regelung der Umgebungsbedingungen
- EN 50600-2-4: Infrastruktur der Telekommunikationsverkabelung
- EN 50600-2-5: Sicherungssysteme
- EN 50600-3-1: Informationen für das Management und den Betrieb
- EN 50600-4-1: Überblick/allgemeine Anforderungen an Leistungskennzahlen
- EN 50600-4-2: Kennzahl zur eingesetzten Energie
- EN 50600-4-3: Anteil erneuerbarer Energien
Die Verfügbarkeitsklassen der EN 50600 werden auf die Energieversorgung, die Kälteversorgung und die Verkabelung angewandt. Die Klassen unterscheiden sich nach EN 50600-1 wie folgt (die genaue Unterscheidung kann dem Prüfkatalog TSI.EN50600 entnommen werden):
Verfügbarkeitsklasse 1
Geringe Verfügbarkeit. Auslegung ohne Redundanzen auf Basis eines Versorgungspfades
Verfügbarkeitsklasse 2
Mittlere Verfügbarkeit. Auslegung mit Teilredundanzen auf Basis eines Versorgungspfades
Verfügbarkeitsklasse 3
Hohe Verfügbarkeit. Auslegung mit redundanten Komponenten auf Basis von mehreren Versorgungspfaden. Lösung für Instandsetzung im laufenden Betrieb.
Verfügbarkeitsklasse 4
Sehr hohe Verfügbarkeit. Auslegung mit Systemredundanzen auf Basis von mehreren Versorgungspfaden. Fehlertolerant außer während der Instandhaltung.
Die Schutzklassen beschreiben Eigenschaften von Räumen hinsichtlich
- nicht autorisiertem Zugang,
- interner umgebungsbedingter Ereignisse (z. B. Brand),
- externer umgebungsbedingter Ereignisse.
Welchen Nutzen bringt die DIN EN 50600?
- Mithilfe der DIN EN 50600 verfügen die Betreiber von Rechenzentren erstmals über eine länderübergreifende und umfassende Norm.
- Sie befähigt RZ-Betreiber, ihre Rechenzentren nach dem aktuellen Stand der Technik zukunftssicher zu planen, zu betreiben und zu erweitern.
- Sie erhalten Sicherheit bei der Planungsvergabe neuer Rechenzentren, vor allem wenn eine Zertifizierung zum Ausschreibungsbestandteil wird.
- Intern wird die Qualität der eigenen Projektsteuerung gesichert und verbessert.
Welche Leistungen bietet TÜViT zur DIN EN 50600 an?
TÜV IT bietet neben der Zertifizierungsleistung auch Unterstützung in den frühen Phasen vor der eigentlichen Zertifizierung eines Rechenzentrums an.
Angefangen von eintägigen Workshops über Standortbewertungen, bis hin zu Konzept- und Planungsbewertungen, bietet TÜV IT Ihnen die größtmögliche Sicherheit bei der Planung und Bauausführung Ihres neuen Rechenzentrums. Planungs- oder Umsetzungsfehler, die später zertifizierungsabträglich wären und zu Verfügbarkeitseinschränkungen oder zum Ausfall des Rechenzentrums führen können, sollten möglichst frühzeitig identifiziert werden, um hohe Fehlerkorrekturkosten zu minimieren.
Bei Bestandsrechenzentren kann auf Grundlage des TSI.EN50600 Prüfkatalogs der aktuelle Stand der Technik im Rahmen von Konformitätsbewertungen (auch GAP-Analyse genannt) beurteilt werden. Mit einer definierten Sollvorgabe findet dann ein Abgleich mit dem Ist-Zustand statt. Die Abweichungen werden in einem Bewertungsbericht dargelegt und sind häufig die Grundlage für erforderliche Ertüchtigungsmaßnahmen.
Für neue Rechenzentren können Planungsentwürfe auf Erfüllung der DIN EN 50600 geprüft werden:
Planungsbewertung von Rechenzentren